Articles published about PAF

1. Selbstorganisation im Château by Nicolas Siepen for 31 Magazine, Switzerland, Oktober 2006

Selbstorganisation im Château
Erfahrungsbericht aus dem Innenleben des PerformingArtsForum (PAF)

Als ich von Jan Ritsema und Bojana Cvejic Ende 2005 zum Gründungstreffen des PerformingArtsForum (PAF) nach St Erme eingeladen wurde mischte sich in die Freude auch Sorge. In den Monaten davor hatte ich eigentlich beschlossen, meine Aktivitäten in solchen Gruppenprojekten eher zu reduzieren, als etwas Neues zu beginnen.
Nach Jahren der selbstorganisierten, raumbasierten und theoretischen Arbeit im Berliner Kunstkontext hat sich bei mir eine gewisse Erschöpfung eingestellt. Ich habe seit 1992 in sehr unterschiedlichen Konstellationen an politisierten Kunstkonzepten gearbeitet und weiß wie aufreibend die Arbeit sein kann. Auch wenn ich den Begriff »Selbstausbeutung« nie mochte (der eine zeitlang inflationär der Selbstbeschreibung diente), und nach wie vor denke, dass man nicht leichtfertig jede, sich institutionellen oder marktförmigen Zwängen entziehende kulturelle Praxis als negativen Ausdruck oder gar Speerspitze des flexibilisierten, postfordistischen Arbeitsregimes zuschreiben sollte, lassen sich gewisse Nähen und Überschneidungen nicht von der Hand weisen. Das liegt aber nicht an der Bereitschaft zu vorauseilendem Gehorsam. Vielmehr bleibt man auch im Stadium der Negation im Gravitationsfeld ökonomisch-staatlicher Trägheit und Kontrolle. Irgendwann klopft die »unsichtbaren Hand«, die nach Adam Smith auf wundersame Art und Weise im Markt gutes vollbringt, auf jeden Fall an deine Türe und zwar nicht in guter Absicht. Natürlich blieben auch die schweren Türen des Landsitzes in Frankreich, den Jan Ritsema in einer Nacht- und Nebelaktion gekauft hat, von diesem Ruf nicht verschont. Wie heftig sie klopfen würde, war zum Zeitpunkt der Einladung noch nicht klar.
Paradoxerweise haben mich aus dieser Skepsis heraus, gerade die problematischen Aspekte dieses spektakulären Vorhabens angezogen. Die schiere Dimension des Hauses und die Menge an eingeladenen Leuten, die in PAF zusammentreffen sollten. Auch die Abgelegenheit fern der einschlägigen urbanen Zentren hatte etwas Anziehendes, obwohl man sich leicht ausrechnen konnte, dass es die Sache nicht einfacher machen wird. Dazu kommt die Idee einer selbst organisierten freien Universität der »Selbstorganisation«, das Versprechen die verschiedensten international Erfahrungen und Wissensformen an einem Ort zu bündeln und weiter zu geben, die mich schließlich nach Frankreich gebracht hat.

Schon kurz nach der Ankunft war klar, dass man sich hier nicht in ein gemachtes Nest setzen würde, sondern, wie es bei Selbstorganisation immer der Fall ist, bei Null anfängt. Auch wenn die eingeladen Personen ihre Erfahrungen und Möglichkeiten mitbringen, so stellt einen die besondere Situation eines neuen Ortes und neuer Konstellationen vor die schwierige Aufgabe des Einstiegs. Es braucht einen Drive um ein theoretisches Vorhaben umzusetzen.
Bojana und Jan hatten für das erste Treffen alles sehr liebevoll und großzügig vorbereitet. Das riesige Haus und Grundstück machte den Eindruck eines verschollen geglaubten, verwunschenen Hotels, dass für ein paar Tage wieder öffnet, um danach endgültig zu verschwinden. Diese Mischung aus baufälligen und renovierten Zimmern, Sälen, Treppenhäusern und Fluren, umringt von einem Park mit eigener Kapelle, drückt sowohl die Trägheit als auch die reine Potenzialität des Vorhabens aus. Ich kenne niemand anderen als Jan Ritsema, der sich getraut hätte, alle Karten auf dieses Grundstück zu setzten. Noch bevor die Wörter »Wir«, »Institution«, »Kunst, die denkt« oder »PAF«, den Hauch von Gewohnheit annahmen, machte sich unter der international zusammen gewürfelten und sich noch selbst fremdem Bewohnerschaft, die dem Lockruf gefolgt war, ein ungläubiges Staunen breit. Man könnte auch von einem Schock sprechen. In der Mail klang das alles fast zu schön um wahr zu sein und jetzt vor Ort schien es zu real um einfach schön zu sein. Wo also beginnen? Die Materialität der Konditionen kann es nicht sein. Das Haus und das Soziale sind zunächst Opak und entziehen sich einem Anfang. Wie immer braucht es eine Entscheidung, die sich in Sprache ausdrückt, um vom »Ich« zum »Wir« über zu gehen. Eine Art Manifest. Bei aller Leichtigkeit die sich in so einer Situation einstellt, tut sich doch auch ein seltsamer Abgrund auf, eine Leere die zunächst symbolisch gefüllt werden muss. Diese Rolle fällt in der Regel den Initiatoren zu - so auch hier. Jans kleine Rede zu Beginn des ersten großen Treffens, bei dem ca. 40 Leute in einem großen Kreis saßen, viel sehr minimalistisch und humoristisch schroff aus: keinen institutionellen Pomp und Ballast, am besten gar keine institutionelle Struktur, jeder soll sich frei fühlen, die Initiative zu ergreifen, keinen abstrakten Ausschluss oder Selektion, sondern die Notwendigkeit, sowohl zu den Marktmechanismen als auch zu den institutionellen Rahmenbedingungen und deren Arbeitsteilung, die den etablierten Performance- und Tanzbetrieb regeln, produktiv auf Distanz zu gehen. Alles ist erlaubt. Es sei denn, es stellt sich heraus, dass es nicht erlaubt ist. Jedenfalls keine festen Statuen oder ein verbindliches Regelwerk. Dazu das erklärte Interesse an einer Formulierung von »Kunst die denkt« und einer universitären Dimension. Soweit in etwa der erste Schnitt in die Opake Struktur, die erste Setzung, die das Projekt von einem »Ich stelle mir vor« oder »Ich will« in ein amorphes »Wir« überführt, ob man will oder nicht. Es war klar, dass weder Jan noch Bojana Lust und Zeit haben, den Betrieb alleine am Laufen zu halten, sondern die virtuellen Möglichkeiten in die Hände eines noch virtuellen Kollektiv legen wollen, das sich mehr oder weniger unsicher ist ob es dieses großzügige Geschenk annehmen kann oder lieber nicht. Gefragt war ein Sprung auf der Stelle. Man kam sich ein bisschen vor wie bei einem Potlatsch (auch so ein Theorem mit Konjunktur, das hier jedoch eine praktische Bedeutung bekam). Wie konnte man diese großzügige Geste der Kollektivierung, die sich potenziell an jeden richtet, den es interessiert, beantworten ohne zu vorsichtig, zurückhalten und geizig zu wirken?

Die anschließenden tagelangen Diskussionen glichen einem umherirren im Labyrinth dieser Koordinaten (Gabe). Ein vorsichtiges Abtasten der Implikationen des hier freundlich, aber bestimmt vorgetragenen Wunsches, den Jan im Namen seiner selbst ausgesprochen hatte und der von Bojana ergänzend kommentiert wurde. Ich betone die spezielle Rolle von Jan hier so deutlich, nicht nur weil ihm als Besitzer des Hauses und Initiator auf der Suche nach Fürsprechern eine Sonderolle zukommt, sondern weil das Paradox: etwas kollektivieren zu wollen, was noch nicht da ist, den Kern von Selbstorganisation berührt. So wurde zum Beispiel auf pragmatischer Ebene schnell deutlich, dass das Haus einmal gekauft, ökonomisch natürlich keine Ruhe geben würde, sondern die Hypothek der monatlichen Unterhaltskosten erheblichen Druck ausübt – zunächst in erster Linie auf Jan – und das die Lösung dieses Problems in einem deutlichen Widerspruch zur erklärten Distanz zu den gängigen Geldströmen steht. Fördergelder, Sponsoring, Vermieten etc. braucht Zeit und könnte unangenehme Nebeneffekte haben. Was tun? Zunächst bleibt nur die Kommunikation.

Der ganzen Diskussionen konnte man ganz klar die theoretischen Bezüge anmerken, die in den letzten Jahren im internationalen Kunstfeld große Bedeutung bekommen haben und aus Theorie selber eine immanente Praxis haben werden lassen, die sich teilweise der Praxis als Substitut angeboten hat. Als »Werkzeuge« bei der Gründung eines so großen und komplexen praktischen Vorhabens zeigte sich jedoch sehr schnell die besondere Ambivalenz, die in diesem exzessiven Theoriekonsum liegt. Einerseits lässt sich so auf hohem Niveau sprechen und analysieren, andererseits neigt die Lust am Text und der Theorie dazu in immanente semantische Schleifen einzutreten, die in sich kreisen und den Blick für die reale Problematik aus dem Blick verliert. Redundante Echokammern, die selber wieder einer Entscheidung zugeführt werden müssen, die außerhalb von ihnen liegt. Hier hat sich die spezielle Architektur des Hauses als sehr brauchbar erwiesen. Sie ermöglicht große Zusammenkünfte und Rückzug. Eine gewisse Privatheit, die sich jeder Zeit in Kontakt überführen lässt. Eine entspannte Arbeitsatmosphäre, die sich wie von selbst in ein kollektives Agieren integriert.

Sobald man sich außerhalb eines institutionellen und finanziellen Rahmens befindet, vermischen sich automatisch die ökonomischen, sozialen und inhaltlichen Ebenen zu einer Art Subjektgruppe. Diese Ebenen, Bereiche und Funktionen werden in Institutionen normalerweise getrennt und unterliegen einer hierarchischen Arbeitsteilung. Diese Trennung schafft eine gewisse Abstraktion und regelt die Abläufe. Jeder Funktionsträger des Kollektivs einer Institution wird seiner Tätigkeit entsprechend bezahlt. In einer Subjektgruppe lösen sich die Grenzen tendenziell auf, beziehungsweise müssen immer wieder neu definiert und ausgehandelt werden. Die einzelnen Mitglieder der Gruppe sind nicht einfach Funktionsträger, sondern sich überschneidende Existenzen, die zusammen so etwas wie eine Gruppensubjektivität bilden, die vielfältig an die Umgebung angeschlossen ist. Man erfindet gemeinsam ein künstliches Territorium, gibt sich einen Namen, verwendet in der Folge oft das Wort »Wir« und schafft so eine Sichtbarkeit und Öffentlichkeit, die die fragilen Ränder der Subjektgruppe definiert. Auch wenn diese Ränder durchlässig sind, besitzen solche selbst organisierten kollektiven Orte eine bewegliche Identität, die sie von anderen Orten unterscheidet und in Konkurrenz setzt. Es gibt verschiedene Gründe sich ins Lebens zu rufen: eine gewisse Autonomie gegenüber dem Kunstbetrieb und seinen institutionellen Zwängen, die empfundene Notwendigkeit kritisch-theoretische Praxis und Kunstproduktion zu verbinden und als politische Intervention in den öffentlichen Raum zu tragen und die Lust eine Ort zu haben und zusammen zu arbeiten.

Diesen Prozess hat die »Gruppe«, die selber nicht genau weiß, wie groß sie noch wird und sich mittlerweile gerne PAF nennt (am Anfang war der Name umstritten, aber wie so oft bleibt der erste Vorschlag hängen), erstaunlich schnell durchlaufen und viele der anstehenden Fragen und Probleme konkret formuliert. In diesem Prozess haben sich einige der Anfangsideen relativiert bzw. transformiert. Die Diskussion um das Pro und Contra einer Institution sind einem pragmatischeren Umgang mit Fragen der Organisation gewichen. Ein Haus in dieser Größe und mit dieser Anzahl von Besuchern kommt ohne ein Minimum an Organisation und Arbeitsteilung nicht aus und auch bei der Finanzierungsfrage müssen alle Mittel ausgeschöpft werden, denn letztlich definiert sich die Qualität und Singularität eines Projektes wie PAF auf anderen Ebenen bzw. im konkreten Zusammenspiel und Umgang mit Techniken der Selbstorganisation. Dass darin auch »konventionelle« Elemente enthalten sind, spielt keine Rolle, da diese zwangsläufig umfunktioniert und dekontextualisiert werden müssen. Ob es am Ende eine Institution ist oder nicht ist zweitrangig. Hauptsache es funktioniert unter der Prämisse der kompromisslosen Selbstorganisation, die sich nicht wieder in die Interessen des Marktes zurück übersetzten lässt und darin gerade ihre existentielle Notwendigkeit behauptet und verteidigt.
Genau besehen ist es nicht leicht Selbstorganisation zu definieren. Offensichtlich handelt es sich hierbei um einen relativ neuen Begriff, der sowohl ein theoretisches als auch politisch-praktisches Konzept benennt, das aus vielen Komponenten besteht. Es ist ein Hybrid, dessen Implikationen und Möglichkeiten aus existentiellen Entscheidungen der 60er und 70er Jahre geerbt, destilliert und transformiert wurde. In der Berliner Kunstszene begann eine verstärkte Zirkulation des Begriffs Anfang der 90er Jahre. Nach den marktaffirmativen 80er Jahren, dem Jahrzehnt der Yuppies, lag es irgendwie in der Luft eine repolitisierung des Kunstfeldes zu organisieren. Die großen A-Komponenten: Autonomie, Autopoiesis, Aussteigertum, Antiautoritär, Antiödipal, Aktivismus markieren in etwa das Feld oder den Plan seiner Entfaltungsmöglichkeiten. Obwohl der Begriff einen alltäglichen Klang hat ist es ein Neologismus, der von gegensätzlichen Kräften in Spannung gehalten wird. Wie alle Neologismen handelt es sich um einen »schmutziges« Konzept, das dem allgemeinen Begriff Kollektivität eine besondere Bestimmung gibt. In diesem Sinne ist das Projekt PAF ein kollektives Experiment unter sehr speziellen Bedingungen.

Diese lassen sich schon jetzt genauer bestimmen. Es besteht in der Spannung zwischen provinzieller Verortung und dem internationalen Interesse, das sich an diesem Ort kristallisiert. Die Abgeschiedenheit ermöglicht Konzentration und Autonomie bedeutet aber auch eine gewisse Isolation. Auch wenn St Erme gut mit dem Zug zu erreichen ist, gibt es natürlich keinen direkten Anschluss an kulturelle urbane Milieus. Man muss dort bewusst hinkommen und dafür muss man wissen, dass es existiert. Für dieses Wissen sorgt neben den informellen Kommunikationswegen und freundschaftlichen Verbindungen das Netz. Die PAF Webseite: http://www.pa-f.net gibt nicht nur einen Überblick über gerade anwesenden Leute und ermöglicht es mit PAF bzw. Jan in Kontakt zu treten und sein kommen anzumelden, sondern gibt auch einen Überblick über die Aktivitäten die schon stattgefunden haben oder in Planung sind. Soweit ich es überblicke, ist das Interesse erstaunlich groß und die »Gruppe« der Leute die sich für PAF interessieren beginnt in alle Richtungen zu wuchern und sich zu verzweigen. Das Projekt PAF hat sich darüber hinaus eine juristische Form gegeben: »Kulturverein PERFORMING ARTS FORUM ASSOCIATION« und wurde von unterschiedlichen Leuten in verschiedenen Städten vorgestellt und Publik gemacht.

In dem relativ kurzen Zeitraum seiner Existenz hat PAF eine erstaunliche Aktivität entfaltet und war das ganze Jahr über in Gebrauch. Im August dieses Jahres wurde für zehn Tage eine Sommerakademie eingerichtet, in der zum ersten Mal in einem größeren Maßstab gemeinsam an einem Projekt gearbeitet wurde. Da zu den Bedingungen von PAF auch gehört, dass man nicht einfach mit Publikum vor Ort rechnen kann, gleicht die wechselnde Zusammensetzung der Leute eher einem Produzentenkollektiv, das in PAF arbeitet und sich seine Produktionen gegenseitig vorstellt und sie bespricht oder neue Vorhaben entwickelt. Die Trennung zwischen Rezeption und Produktion ist tendenziell aufgehoben. Ziel ist es auch, ein Medienarchiv anzulegen und die schon vorhandene technische Infrastruktur auszubauen. Obwohl der Name PerformingArtsForum nahelegt, dass nur Künstler aus diesem Bereich sich für PAF interessieren, sind mittlerweile auch Leute aus den Bereichen Film, Theorie, Netzaktivismus und bildende Kunst vertreten. Das, was die verschieden kulturellen Aktivitäten und Akteure miteinander verbindet scheint die breit gestreute Überzeugung zu sein, dass man sich eine unabhängige, kritische und experimentelle Praxis parallel zu den eingeschliffenen Formen kultureller Vermittlung immer wieder selber organisieren muss und dass es sich lohnt diesen Aufwand zu betreiben. Ich war überrascht, wie schnell ich mich selber habe anstecken lassen.

Nicolas Siepen

Mitbegründer von b_books – Verlag und Buchladen
Lebt und arbeitet als Filmemacher, Theoretiker und Verleger in Berlin